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Verein zur Erforschung und Diskussion des Verhältnisses von Stadt und Kultur

Fortbewegung im öffentlichen Raum

Zur Kultur und Psychologie des ÖPNV

Vortrag und Diskussion:

Dienstag, 3. Dezember 1996 –

ÜSTRA-Remise

  • Antje Flade (Institut Wohnen und Umwelt, Darmstadt)

Die Wahl des Fortbewegungsmittels wird auch beeinflußt durch dessen gesellschaftliche Wertschätzung.

Der Boom des Fahrrads hat vielerlei Gründe. Er geht zurück auf sein Image als Garant der Unabhängigkeit von Stau und Fahrplan sowie eines ökologisch verantwortlichen, „besseren“ Lebensstiles. Mit zunehmender Preislage fungiert das Rad als Vehikel sozialer Differenzierung, was dem Auto - wie schon mehrfach beschrieben - von jeher zu eigen ist. Darüber hinaus ist es ein Mittel zu Abschottung gegen andere, zur Mobilisierung von Omnipotenzgefühlen in der scheinbar unbegrenzten Verfügung über den Raum. Es öffnet den Zutritt zur Autobahn als letztem Reservat einer sozial nicht verantwortlichen Männlichkeit.

Den öffentlichen Nahverkehr hingegen umgibt - abseits der großen Eisen-bahnreise - keine Aura, keine Kultur eines Besonderen. Seine Verfechter argumentieren rational mit Hinblick auf das - ökologische, soziale, stadt-räumliche - Gemeinwohl; allenfalls stellen sie die Unabhängigkeit vom Stau als individuellen Nutzen heraus. Es dominiert die Kultur der Notwendigkeit. Seine Nutzer haben sich Zumutungen zu unterwerfen - in der Abhängigkeit vom Fahrplan, im zwangsweisen Zusammensein mit Fremden. Dennoch liegen in der Fahrt im öffentlichen Verkehrsmittel Chancen der Begegnung mit anderen Lebensstilen, der viel-fältigen Nutzung der Reisezeit - vom Dösen zum Lesen -, nicht zuletzt der Entlastung von den Kosten und Mühen des Unterhalts eines eigenen Autos.

Kann man eine spezifische Kultur des öffentlichen Nahverkehrs beschreiben, die über die Notwendigkeit hinausgeht und die für breitere Gruppen identifi-kationsfähige Images bereitstellen kann?

Wie kann eine solche Kultur aufgebaut werden?